Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zeigt Gesprächsbereitschaft mit dem Berufsstand, um die Zukunftsperspektiven der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zu verbessern. © BWV Rheinland-Nassau e.V.

Deutscher Bauerntag 2024 in Cottbus – Özdemir: „Die Beschlüsse zum Agrardiesel sind falsch!“

Cottbus. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir dankte zu Beginn seiner agrarpolitischen Rede vor der Mitgliederversammlung des Deutschen Bauernverbandes für das demokratische Verhalten der Landwirtschaft während der Demonstrationen im vergangenen Winter. Die Landwirtschaft sei eine tragende Säule der Demokratie. Özdemir habe sich im Bundeskabinett für den Erhalt der Agrardieselsteuerrückvergütung eingesetzt, da er diesen Beschluss für falsch halte. Nun sei es immerhin gelungen, die Rückerstattung über einen Übergangszeitraum schrittweise abzubauen. Auch der zunächst geplante Wegfall der Ermäßigungen der Kfz-Steuer bei landwirtschaftlich genutzten Fahrzeugen (grünes Kennzeichnen) werde nicht umgesetzt. Er habe dafür gekämpft und sehe sich deshalb an der Seite der Landwirtsfamilien. Chancen für die Transformation der Landwirtschaft sieht Özdemir in der Arbeit der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL): „Lasst uns die Ergebnisse der ZKL gemeinsam umsetzen. Wir sind in vielen Punkten gar nicht so weit voneinander entfernt“, erklärte Özdemir.

Über Kompromisse könnten viele Forderungen des Berufsstandes umgesetzt werden. Mit Unverständnis reagierte Özdemir auf die Einmischung der Politik bei der Anhebung des Mindestlohnes. Dafür gebe es eine Mindestlohn-Kommission. Ein Überbietungswettbewerb auf politischer Ebene sei in diesem sensiblen Bereich nicht angebracht. Damit stellte sich Özdemir gegen die jüngste Forderung des Bundeskanzlers Olaf Scholz, der eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro gefordert hatte.

Die Ampel-Koalition habe, wie versprochen, jetzt ein Agrarpaket auf den Weg gebracht. Die steuerliche mehrjährige Gewinnglättung werde rückwirkend von 2023 bis 2028 umgesetzt. Außerdem würde die Landwirtschaft innerhalb der Lebensmittellieferkette gegenüber dem Handel gestärkt. Unlautere Handelspraktiken würden künftig der Vergangenheit angehören.

Tierhaltung ist Teil der Kreislaufwirtschaft

Auch für die Tierhaltung wolle die Ampel etwas tun, da sie ein äußerst wichtiger Teil der Kreislaufwirtschaft sei. Er bedaure, dass sich die Anzahl der schweinehaltenden Betriebe von 2010 bis 2020 nahezu halbiert hätte. Allerdings sei auch der Schweinefleischverzehr in der Bevölkerung im gleichen Zeitraum von 40 auf nunmehr 29 Kilogramm pro Kopf gesunken. Ihm sei sehr daran gelegen, die Tierhaltung zukunftsfähig umzubauen. Mit dem Bundesprogramm zum Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland würden seit März 2024 umbauwillige Betriebe unterstützt. Das Gesamtvolumen betrage 120 Millionen Euro. Die staatliche Tierkennzeichnung mache es für Verbraucher einfacher, sich für bestimmte Fleischqualitäten zu entscheiden. Diese Transparenz werde nun auf die Außerhausverpflegung, also auf Gastronomie und Kantinen, ausgeweitet. Er mache außerdem Druck auf die Europäische Union, um endlich eine europaweite Herkunftskennzeichnung einzuführen, berichtete Özdemir. Positiv sehe er den Vorstoß des Deutschen Bauernverbandes, die Mehrwertsteuer für tierische Produkte um wenige Prozent zu erhöhen, um die Kosten für Tierhaltungsinvestitionen abzufedern: „Das ist ein guter Vorschlag. Ich bin bereit dazu, diesen Vorschlag umzusetzen“.

Bezüglich des Düngerrechtes machte Özdemir deutlich, dass er von der EU gezwungen worden sei, das Düngerecht zu verschärfen. Schließlich habe die EU sehr konkret hohe Strafzahlungen angedroht. Er kritisierte seine Vorgänger im Amt, die Zeit genug gehabt hätten, ein sachgerechtes Verursacherprinzip einzuführen. Dies sei derzeit nicht gegeben. Er sei aber bereit, über Lösungen zu sprechen, die dieses verbessern und gleichzeitig weniger Bürokratie verursachen würden.

Auch in Pflanzenschutzfragen sei er bereit, auf den Berufsstand zuzugehen. Er selbst habe die SUR (Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln) nicht begrüßt. Die SUR habe die Erfolge der Vergangenheit nicht berücksichtigt, was die deutschen Landwirte hart getroffen hätte. Er sei bereit für eine offene Diskussion und einen Beteiligungsprozess. Auch sehe er die Sorgen der landwirtschaftlichen Betriebe, weshalb er das Verbot des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in Wasserschutzgebieten gestrichen habe. Vielmehr seien Techniken umzusetzen, die den Pflanzenschutzmittelaufwand reduzieren könnten.

Özdemir wolle Ernst mit der Entbürokratisierung machen. Jede künftig geplante Regelung werde auf ihre Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit kontrolliert: „Die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern auf dem Feld muss wieder gestärkt werden und nicht die Arbeit am Schreibtisch!“. Als Beispiel für erste gelungene Maßnahmen zum Bürokratieabbau sehe er den Wegfall von Sanktionen beim Verlust einer Ohrmarke (wir berichteten). Die Digitalisierung des Rinderpasses werde an das EU-Recht angepasst. Sein Ministerium werde außerdem einen Praxis-Check beim „Zukunftsprogramm Pflanzenbau“ durchführen. Er lud den Bauernverband dazu ein, sich hier einzubringen.

Mehr Apollofalter, weniger Wolf

„Der Wolf hat in der Landwirtschaft nichts verloren, Weidetiere müssen sicher vor Wolfsangriffen sein“, sagte Özdemir und erklärte, dass dies seine persönliche Meinung sei. Er werde nicht zulassen, dass die Deiche oder die Almen durch den Wolf bedroht würden. Bei wachsenden Wolfspopulationen müssten auffällige Wölfe abgeschossen werden können. Er lehne es ab, im Offenland über Zäune zu reden. Er werde auf EU-Ebene einer Absenkung des Schutzstatus “nicht im Wege stehen“. (Anm. d. Redaktion: Innerhalb der Bundesregierung ist das Bundesumweltministerium für das Thema zuständig)

In diesem Zusammenhang wolle er aber auch darauf hinweisen, dass 35 Prozent der heimischen Tierarten bedroht seien. Als Beispiel nannte er den Apollofalter in den Weinbergen, der vom Aussterben bedroht sei, wenn der Pflanzenschutzmitteleinsatz nicht reduziert werde. Er forderte den vielen aussterbenden Arten mehr Aufmerksamkeit zu widmen und nicht nur dem Wolf, dem Kormoran und dem Biber.

Auch zum Tierschutzgesetz positionierte sich der Bundeslandwirtschaftsminister: „Eine ganzjährige Anbindung ist nicht artgerecht. Es gibt Zielkonflikte, die mit Kompromissen gelöst werden müssen“. Özdemir halte einen Übergangsraum von 10 Jahren bis zur Abschaffung der Anbindehaltung bei Rindern für fair. Dennoch werde es auch darüber hinaus eine saisonale Anbindung geben, aber wenigstens zwei Mal in der Woche müssten sich die Tiere frei bewegen können. Es werde somit auch in Zukunft Kompromisslösungen geben.

Auch im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik habe sich Özdemir für die landwirtschaftlichen Belange eingesetzt. So sei GLÖZ 8 (erzwungene Flächenstilllegungen) bis Ende der Förderperiode ausgesetzt. Deutschland werde auch nach dieser Zeit kein neues GLÖZ 8 einführen, sagte Özdemir zu. Vielmehr solle es Anreize für die neue Förderperiode geben, um den Naturschutz zu fördern.

Auch auf EU- Ebene gebe es positive Ansätze, die Situation der Bäuerinnen und Bauern zu verbessern. Der aktuelle Maximalbetrag für die De-minimis-Beihilfen sei nicht mehr zeitgemäß und trage der wirtschaftlichen Situation der Betriebe nicht Rechnung. Er habe bei der EU-Kommission eine Erhöhung von 20.000 auf 37.000 Euro auf den Weg gebracht. Sie ermögliche in Ausnahmesituationen und Krisen flexible und einfache Hilfen für die heimische Landwirtschaft. Özdemir möchte die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten. So werde beispielsweise auch die Förderung für Agroforstkulturen von 60 auf 200 Euro pro Hektar erhöht.

Eine klare Absage erteilte er einer Ausdehnung von Photovoltaikanlagen auf Freiflächen: „PV hat auf Freiflächen nichts verloren. Versiegelte Flächen und Dächer müssen verstärkt für diese Anlagen genutzt werden. Außerdem muss das Stromnetz besser ausgebaut werden. Agri-PV kann eine gute Alternative für Flächen-PV-Anlagen werden“.

Am Ende seiner Rede betonte Özdemir, dass tiefgreifende Entscheidungen auch Verlässlichkeit benötigten. Er setze sich daher für verlässliche Entscheidungen ein, die auch bei einem Regierungswechsel nicht umgestoßen würden.